Der Falke

Ich träumte, dass ich ein Falke sei.

Der alte Werther hatte mich mit zu sich genommen. Er hatte die Fessel abgenommen, mit der mein Fuß an den Felsen gekettet war. Sie war überflüssig geworden. Ich war zu schwach und elend, um im Flug fliehen zu können. Der Tod war in meinen Augen.

Und wie hatte ich, der Angezettelte, in der ersten Zeit meine Kraft zur Schau gestellt? Ohne Skrupel und unbedacht. Nichts sollte mein Mut brechen können. Wenn ich nur lange genug meine Flügel spreizen würde zu dem weiten starken Segel, das mich so lange fortgetragen hatte, dann dachte ich, dann bräuchte ich gar nicht mehr in den Himmel zu steigen, dann käme der Himmel zu mir. Er senkte sich zu mir herab, nähme mich auf in seine blau glänzende, durchsichtige Unendlichkeit und trüge mich für ewig mit sich fort. Aber es geschah nicht. Nichts ereignete sich, auch wenn ich noch so scharf und fordern noch so schneidend meine Schreie in den Himmel schoss.

Sie zerschellten in der Wucht des stillen Raumes, der alle Antwort für sich behielt, und stürzten irgendwo unerhört in ein anderes Meer. Bei jedem Versuch, in das Licht zu fliegen, schlug mein Körper von der Kette zurück gerissen. Die er nie würde sprengen können. Auf dem Felsen, auf der mit Federn und blutigem Klo Kot verklebt war. Die Stelle meines Fußes, an dem die Kette ihn gepackt hielt, war wund und verkrustet. Ich war abgemagert. Meine Augen tränten, die mich gefangen hielten, zwang mich, Salzwasser zu trinken und lachten, wenn die Lauge an meinem wund aufgerissenen Schnabel herab lief und in mein offenes Fleisch mit ätzenden Zungen hinein sickerte, sodass mein Körper sich krümmte.

Sie müssen mich für tot gehalten haben. Und so konnte mich einer der Wärter, der Älteste unter ihnen, eines Nachts in den Hof seines Hauses bringen, auf einen anderen Felsen. Er wusch meine Federn sehr vorsichtig mit einem Schwamm und löste behutsam die Verkrustungen. Er brachte mir Wasser, reines, klares Wasser, das weder salzig noch zu kalt war. In einer flachen Schüssel. Aber ich war zu schwach, um meinen Schnabel hinein zu tauchen und zu trinken. Und der Alte schöpfte das Wasser mit seinen Händen und flößte es mir ein. Er lächelte nicht, während er leise vor sich hin redete. Was ich nicht verstand. Nur ein Wort schien mir manchmal wie ein Dorn zwischen den anderen hervorzustechen und es zu hören, verursachte mir Schmerz.

Nacht für Nacht kam der Alte. Bis sich ihnen erwarten konnte, auf meinen Felsen hockend, ohne zu zittern. Er bot mir die Schüssel mit Wasser an, und ich trank es gierig hinunter. Danach spritzte ich Wasser über meine Flügel und mit einem weiteren Schnabel schlag dem Alten übers Gesicht. Er verzog keine Miene. Aber unter einem Lidschlag zuckte ein Lächeln in seinen Augen weg. Wieder redete er zu mir, wieder sehr leise, aber ich hatte mich nicht getäuscht. Wieder sagte er dieses Wort in seiner Rede, das mich jedes Mal traf wie ein kurzer heißer Schlag.

Die folgenden Tage verbrachte ich damit, meine Sehnen und Muskeln zu dehnen und zu stärken und meine Flügel wieder geschmeidig zu machen. Nachts, wenn der Alte kam, aß und trank ich, wobei ich ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Er stand ruhig dabei und schien zu warten. Dann war eine Nacht, in der mir mein Essen hinstellte und verschwand. Aber unerwartet kam er im Morgengrauen zurück. Er sah lange aufs Meer hinaus, so wie er es getan hatte, als ich noch gefangen war und er mich an meinen Felsen besuchte. Der Wind trug den kühlen, salzigen Geruch des Meeres zu uns herauf. Hinter der schmalen Linie zwischen Meer und Himmel schien unendliches Licht zu liegen.

Ein letztes Mal schöpfte der Alte mit seinen Händen das Wasser und bot es mir an.. Ich trank hastig. Das Licht hinter der Meeres Linie wurde stärker. Der Alte trat vor mich hin und nun verstand ich deutlich und klar das Wort. Und aus meiner Seele flog ein harter, heller Schrei. Der Alte wich ein paar Schritte zurück, bis ich ihn ansah, und da lehnte er sich mit dem Rücken an meinen Felsen, sodass sein Kopf gerade von meinen Krallen zu liegen kam. Noch einmal stieß ich einen klaren, schmerzenden Schrei aus. Dann packte ich den Kragen des Alten.

Da war sie, die Angst, die mein Herz zum Hämmern brachte. Aber jetzt trieb sie mich und trug mich. Meine Flügel lagen weit und stark auf den Wellen des Windes. Auch der Alte breitete seine Arme aus und ich trug ihn hoch und hoch auf das Licht zu, das am Rande des Meeres hell war, und unter uns hörte ich Stimmen, die vom Wind herauf getragen wurden.

Und in das Schlagen meines Herzens sang sie. Sloboda Sloboda. Freiheit Freiheit.


Malika Lamwersiek liest aus Deah Lohers „Fremdes Haus“, Der Falkenmonolog

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