Die Wut liest und die Angst schreibt – mit Witz und Charme

Mal wieder Post vom Amt und keine Kraft diese zu öffnen? Schreib‘ dich in den Widerstand und kreiere aus Wut und Angst, Antworten mit Witz und Charme.

Wer kennt das nicht: Das Amt schickt einen Brief und der/die Empfänger:in braucht erstmal Zeit, um überhaupt zu verstehen, wer warum was schreibt und vor allem, was zu tun ist. Außerdem gibt es viele Menschen, die erstmal Kraft sammeln müssen, um die Briefe überhaupt zu öffnen. Denn oft sind Menschen überfordert von der Amtssprache, der schieren Flut an Briefen mit Aufforderungen, Belehrungen, Ablauffristen, Sanktionen bei Nichtbefolgung etc. Einige Menschen schaffen es über Monate nicht, amtliche Post zu öffnen, was natürlich weitere Briefe nach sich zieht. Das Nichtverstehen betrifft längst nicht nur Menschen, die noch nicht lange Deutsch sprechen, sondern alle Menschen, die nicht
bei Ämtern oder Behörden arbeiten. Wobei diese voraus. auch vom Nichtverstehen betroffen sind. Und oft steigt Wut auf, wenn mal wieder ein Nachweis gefordert wird, der schon längst vorlag. Oder es werden Stellenangebote verschickt, auf die mensch sich bewerben muss, die überhaupt nichts mit den Erfahrungen der Personen zu tun haben, oder es gehen Anträge verloren. In der Praxis haben wir bspw. erlebt, dass eine Person 17 Mal einen Antrag zur sozialen Sicherung stellen musste, da dieser immer wieder nicht auffindbar war. Das war die Ausgangssituation der Projektidee…



Was haben wir gemacht?

Wir haben uns zusammengefunden – Menschen aus dem Sozialraum Köln-Kalk und aus allen Ecken der Stadt –, getragen von dem gemeinsamen Wunsch, den oft schweren Briefen des Alltags mit etwas Leichtigkeit, Kraft und Kreativität zu begegnen. Aus dieser Idee heraus entstanden zwölf Schreibwerkstätten, lebendige Orte, an denen wir mit Witz, Charme und einer guten Portion Mut auf die unterschiedlichsten Schreiben reagiert haben: Briefe von Behörden, Schreiben voller Forderungen, Drohungen oder Verwirrung – all jene Papiere, die viele Menschen sprachlos oder müde machen.
Unterstützt von unseren beiden Schreibreferierenden wurden die Teilnehmenden ermutigt, ihre Wut nicht zu verschlucken, sondern in etwas Neues zu verwandeln. In jedem Workshop war spürbar, wie aus Unsicherheit langsam Selbstbewusstsein wurde, wie Menschen ihre Stimme wiederfanden, und wie Worte – manchmal zaghaft, manchmal laut – ihren Weg aufs Papier fanden. Es wurde herzlich gelacht, leise geweint, erschöpft der Kopf geschüttelt und immer wieder tief durchgeatmet. Vor allem aber wurde eines getan: einander gestärkt.

Begleitet wurden diese Werkstätten von einer jungen Künstlerin aus der Ukraine und dem Künstler:innenkollektiv RED X, die zu jedem Schreibanlass Grafiken, Zeichnungen und kleine Comics entwarfen. Ihre Bilder verliehen den Texten nicht nur Farbe und Form, sondern gaben vielen Gedanken ein zweites, sichtbares Zuhause. Alle entstandenen Werke durften die Teilnehmenden mitnehmen – als Erinnerung, als Mutmach-Bündel, als Beweis dafür, dass sie sich gewehrt haben. Wer wollte, hätte die Schreiben auch an die Behörden zurückschicken können. Doch dazu kam es nicht. Trotz Wut, trotz Frust und trotz mancher unnötigen bürokratischen Hürde war die Sorge groß, dass ein allzu kreativer Umgang mit dem Ernst der Lage negative Konsequenzen haben könnte.

Uns war es wichtig, diesen Ängsten Raum zu geben. Niemand sollte das Gefühl haben, seine persönliche Lage für ein Projekt „hergeben“ zu müssen. Wir haben jede Situation ernst genommen, sorgfältig zugehört und gemeinsam überlegt, was ein guter, sicherer Weg sein könnte. Deshalb waren bei allen Treffen auch soziale Beratungskräfte anwesend. Sie halfen, komplexe Lebenssituationen einzuordnen, und gaben Antworten, wo wir als Schreibbegleiterinnen an Grenzen stießen. Viele Fragen waren so vielschichtig, dass sie ohne professionellen Rat unlösbar geblieben wären.

Mit diesem Projekt konnten wir einen kleinen, aber wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Ängste im Umgang mit Behörden abgebaut werden. Bei einigen Workshops nahmen auch Mitarbeitende aus Verwaltung und Institutionen teil. Dadurch entstand ein wertvoller Austausch: Menschen, die sonst nur auf dem Papier miteinander in Kontakt treten, begegneten sich von Angesicht zu Angesicht. So konnten wir auch auf die Sorgen und Belastungen derjenigen aufmerksam machen, die diese Schreiben empfangen – eine Sensibilisierung, die oft im Alltag der Verwaltung fehlt.

Durch den Veranstaltungsort, dem Wasserturm, direkt an dem Shopping Center KölnArcaden, wurden Menschen direkt, „im Vorbeilaufen“ angesprochen“. So konnten Personen erreicht werden, die den Weg zu uns sonst vielleicht gar nicht gefunden hätten. Auch das Verlegen der Workshopszeiten auf ein Wochenende, und die Durchführungszeiten (11:00 – 20:00 Uhr) in Form einer offener Werkstatt sowie durch die Unterstützung des Shopping Centers mit der Nutzung von Wasser und kleinen Snacks sowie den Sanitäranlagen, konnten wir Räume gestalten, die nicht wie „Projekträume“ der Sozialen Arbeit/der Soziokultur wirkten, sondern wie ein offenes Kalker Wohnzimmer. Der Ort war letztendlich entscheidend für das Gelingen des Projektes. In Zukunft möchten wir daran anknüpfen und ein Konzept für ein „Ich-verstehe-nicht-was-das-Amt-von-mir-will“ Schreibbüro eröffnen, das das kreative Schreiben rund um das Thema Bürokratie fördert.

Zum Abschluss ist dieses Heft entstanden: eine Sammlung kreativer Antworten, kleiner Mut-Texte und Tipps, die helfen können, wenn die Wut sich wieder meldet. Dazu Musik zum Entspannen, Arbeiten unserer Künstlerin und eine Auswahl hilfreicher Links zu den Themen, die in unseren Werkstätten am häufigsten auftauchten.
Gemeinsam haben wir gezeigt: Wir sind stark. Wir lassen uns nicht sprachlos machen. Und mit Charme und Witz stellen wir uns dem Bürokratiewahn – Blatt für Blatt, Wort für Wort.

Wir haben für dieses Projekt ein Print- und Digital-Layout erstellt, das Sie hier finden können: Die Wut liest und die Angst schreibt – mit Witz und Charme

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